WAHLKREISPROGNOSE I 21. JANUAR 2024
Die Kritik an der EU-Politik nimmt zu, wie die aktuellen Befragungsergebnisse zeigen. Doch der Blick auf einzelne Bereiche offenbart weitverbreitete Akzeptanz zur Mitgliedschaft Deutschlands in der EU. In der aktuellen Sonntagsfrage zur Europawahl verlieren Unionsparteien und AfD an Zustimmung, während der SPD ein historisches Tief droht.
Deutschlands Rolle in der internationalen Konfliktbewältigung
Gefragt nach dem Ausmaß des deutschen Engagements in globalen Krisen, zeigt sich ein gemischtes Bild. Eine Mehrheit von 56 Prozent aller Befragten spricht sich für ein stärkeres Engagement im Kampf gegen internationalen Terrorismus und Islamismus aus. Ebenso besteht eine Tendenz für mehr Einsatz beim Umgang mit den Angriffen auf Handelsschiffe im Roten Meer durch Huthi-Rebellen aus dem Jemen, wobei 40 Prozent der Befragten für eine Intensivierung der Bemühungen plädieren.
Im Hinblick auf den Konflikt zwischen China und Taiwan sprechen sich 25 Prozent für ein stärkeres Engagement Deutschlands aus, während 37 Prozent der Meinung sind, dass das gegenwärtige Engagement angemessen sei.
Die Meinungen über das Engagement im Ukraine-Russland-Konflikt sind geteilt: 30 Prozent befürworten eine Intensivierung, jedoch sehen 42 Prozent der Befragten keinen Anlass für eine Veränderung der deutschen Politik in dieser Frage.
Die Haltung zu den Auseinandersetzungen zwischen Israel und Hamas im Gaza-Streifen sowie zwischen Israel und Hisbollah im Südlibanon ist ähnlich: Ein stärkeres Engagement wünschen sich jeweils 24 Prozent und 23 Prozent, doch eine höhere Anzahl von Wahlberechtigten, 46 Prozent in beiden Fällen, bevorzugt den Status quo.
Beim Bergkarabach-Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan und den Kriegen in Zentralafrika zeigt sich das geringste Interesse an verstärktem Engagement: 17 Prozent bzw. 14 Prozent sind für mehr Einsatz, während die Mehrheit der Befragten für eine Beibehaltung der gegenwärtigen Bemühungen oder sogar für weniger Engagement votiert.
Vertrauen in EU-Politik
In unserer Umfrage vom Dezember 2022 zeigte sich, dass eine Mehrheit der Wahlberechtigten quer durch alle Altersgruppen der EU-Politik vertraute. Insgesamt äußerten 61 Prozent aller Deutschen damals, dass sie der EU-Politik sehr oder eher stark vertrauen würden. Laut aktuellen Daten zeigt sich jedoch eine signifikante Veränderung dieser Stimmung: 54 Prozent üben nun Kritik an der EU-Politik, während 41 Prozent ihr vertrauen. Dies entspricht einem Rückgang des Vertrauens um 20 Prozentpunkte und einem Anstieg des Misstrauens um 35 Punkte seit Dezember 2022.
Besonders viele Nachteile habe die Mitgliedschaft Deutschlands in der Europäischen Union laut Befragten bei Migration (47%), der Finanzpolitik (39%) sowie der Wohlstandssicherung Deutschlands (36%).
Trotz des Unmuts überwiegen für 35 Prozent der Befragten die Vorteile der deutschen EU-Mitgliedschaft gegenüber den Nachteilen (21%). 44 Prozent sind der Meinung, dass die Mitgliedschaft in der EU sowohl Vorteile als auch Nachteile für Deutschland mit sich bringt.
Insbesondere bei der Reisefreiheit (63%), dem Freihandel (44%) und dem internationalen Einfluss (42%) sehen die Befragten erhebliche Vorteile der EU-Mitgliedschaft für Deutschland.
EU-Befürworter in der Mehrheit
Obwohl das Vertrauen in die EU-Politik gesunken ist, stufen sich die meisten Wahlberechtigten (48%) weiterhin als EU-freundlich ein. Lediglich 26 Prozent positionieren sich EU-skeptisch. Weitere 23 Prozent antworten mit „neutral“.
Die Idee eines EU-Austritts findet unter den Deutschen kaum Zustimmung: Eine deutliche Mehrheit von über vier Fünfteln der Wahlberechtigten (81%) spricht sich gegen einen Austritt aus. Nur jeder Achte (13%) befürwortet einen solchen Schritt.
Welchen Einfluss hat der Unmut über die Bundesregierung auf die Europawahl?
Die politische Trendstimmung zur Europawahl wird gleichzeitig von bundespolitischen Geschehnissen überlagert. Jeder Fünfte Befragte spricht sich für eine vorgezogene Bundestagswahl am Tag der Europawahl aus. Weitere 41 Prozent wollen noch zeitigere Neuwahlen. Zusammen ist der Neuwahl-Wunsch um neun Zähler seit der entsprechenden Umfrage Anfang Januar angestiegen.
Zwar sagen 25 Prozent, dass ihre aktuelle Wahlpräferenz zur Europawahl auch tatsächlich von der EU-Politik abhänge. Für 19 Prozent spielt hingegen die Bundespolitik eine ausschlaggebende Rolle bei der Europawahl und sieben weitere Prozent votieren derzeit so, weil sie von anderen Parteien enttäuscht sind.
Sonntagsfrage zur Europawahl
Wären schon nächsten Sonntag Europawahlen dann wären die Unionsparteien zwar weiterhin stärkste Kraft, allerdings mit rückläufiger Tendenz: von 31 Prozent im Dezember geht es auf 28 Prozent abwärts. Damit liegen die Unionsparteien leicht unter ihrem Europawahlergebnis von 2019 (28,9%). Die AfD kann sich mit 23 Prozent nicht auf ihrem Dezember-Wert halten und verliert zwei Punkte, bleibt aber mehr als doppelt so stark wie bei der Europawahl 2019 (11%). Auf dem dritten Platz liegen die Grünen mit 13 Prozent und leichten Gewinnen gegenüber Dezember. Der SPD droht nach aktueller Stimmungslage ein historisches Debakel: nur noch neun Prozent wollen für sie stimmen (-1%). Unverändert sieben Prozent wollen für BSW stimmen. Zu den größten Gewinnern in diesem Monat gehören unter anderem die Freien Wähler, für sie wollen fünf Prozent (+2,5%) stimmen. Auch die FDP gewinnt dazu (+1,5%).
Europakompetenzen
Auf dem Feld der Europapolitik genießen die Unionsparteien (31%) das meiste Vertrauen und liegen weit vor SPD (15%) und AfD (13%). Grüne und FDP werden einstellig bewertet mit sechs Prozent bzw. drei Prozent. Zehn Prozent verteilen sich auf sechs weitere Parteien. 22 Prozent der Befragten trauen keiner Partei zu, die wichtigsten Probleme der EU zu bewältigen.
Insgesamt wurde das Sachvertrauen in die Parteien bei 14 europabezogenen Politikfeldern erhoben. Im Kompetenzindex, bei dem die Parteiwerte von allen 14 Kompetenzbereichen gemittelt werden, kommen CDU/CSU am besten weg (26%) und rangieren vor AfD (15%) und SPD (13%).
Deutsche bevorzugen EU-Koalitionen der Mitte
Bei der Frage, welche Fraktionen im Europäischen Parlament zukünftig zusammen arbeiten sollen, sind unter den deutschen Wahlberechtigten Konstellationen mit europafreundlichen Kräften präferiert. Demnach sprechen sich 20 Prozent für eine Zusammenarbeit von Europäischer Volkspartei (EVP), Sozialdemokraten (S&D) und der liberal ausgerichteten Fraktion „Renew Europe“ aus. Eng dahinter folgt die Koalition aus EVP und S&D allein, welche 18 Prozent der Befragten unterstützen. Weitere elf Prozent setzen auf eine erweiterte Zusammenarbeit von EVP, S&D, Renew und den Grünen. Eine Konstellationen, bei der die Europäische Volkspartei (EVP) mit den beiden euroskeptischen Fraktionen EKR und ID regiert, wollen zehn Prozent.
Ebenfalls zehn Prozent der Befragten befürworten eine Zusammenarbeit von S&D, den Grünen und der Europäischen Linken (GUE/NGL).
Information zur Datenerhebung:
Die präsentierten Zahlen zu den Stimmungsbildern ergeben sich aus einer zwischen 11.01. bis 18.01.2024 unter 1.570 wahlberechtigten Personen ab 16 Jahren durchgeführten Repräsentativbefragung.
Die Repräsentativbefragung erfolgte über geschlossene Online-Panels und per telefonischer Zufallsstichprobe. Die Rohdaten wurden dort wo nötig nach Kriterium der Bevölkerungsfortschreibung gewichtet. Die Fehlertoleranz beläuft sich auf durchschnittlich +/-3,1 Punkte.